Kirsch-Blog

Texte schreiben, Hörspiel machen

Glossen, Anekdoten und amüsante Texte schreiben? Eine Anleitung.

Gesunde Brötchen

Jeden Abend kettet meine Frau mich ans Bett und zwingt mich ihr eine Geschichte aus dem Buch „Der kategorische Imperativ ist keine Stellung beim Sex“ vorzulesen. Horst Evers beschreibt darin in kurzen Glossen sein ereignisarmes Leben. Natürlich lese ich meiner Frau gern etwas vor. Wer würde das nicht, wenn stattdessen das ewige Leben in Ketten droht? Beim Vorlesen einer besonders lustigen Spionagepflanzen-Geschichte kam mir eine Idee. Ich wollte untersuchen, wie so eine Glosse, Anekdote oder was auch immer geschrieben wird.

Der oder die ist immer ein/e Ich-Erzähler/in.

Warum? Das Publikum versetzt sich so automatisch in einen Ich-Erzähler. Das allein führt schon zu Sympathie und was sympathisch ist, wird gelesen. Außerdem kann ein Ich-Erzähler problemlos seine Gedanken loswerden und die sind ja meist sooo witzig.

Also beginne ich meine Glosse mit:

Ich lag im Bett und schlief, da äh? Da, da …

Ja was „da“? Jetzt muss etwas passieren, denn mich zu beschreiben, wie ich schlafe, ist weniger lustig. Es wäre eher tragisch.

Es kommt jemand ins Zimmer.

Da ich ein möglichst großes Publikum erreichen will, erschaffe ich zwei Kinder. Immerhin haben die meisten Leute Kinder. Sie würden sich sonst zu Hause langweilen. Also erfinde ich eigene Kinder und sammle damit gleich Punkte beim Zielpublikum. Zugegeben, wenn ich den urbanen Tinder-Finder erreichen wollen würde, würde meine aktuelle Flamme mich aus dem Schlaf reißen oder meine Ex. Würde ich für eine feministische Frauenzeitschrift schreiben, würde Rosa Luxemburg in meinem Schlafzimmer stehen.

Ich lag im Bett und schlief, da stapften leise wie zwei Presslufthämmer

Lustige Vergleiche machen sich immer gut.

meine beiden Töchter Helga und Hannelore ins Zimmer.

Alle Figuren müssen immer möglichst lustige Namen haben.

Dabei sollen die Namen aber auch irgendwie glaubwürdig sein. Stimmt, Helga und Hannelore sind weder das eine noch das andere. Gut. Ich beginne erneut.

Ich lag im Bett und schlief, da stapften leise wie zwei Presslufthämmer meine beiden Töchter Ulf und Badelatschen herein. Sie weckten mich sanft, indem ihre kleinen Patschehändchen mir abwechselnd Mund und Nase zuhielten. Ulf erblickte ich als erstes.
„Was soll das?“, fragte ich.
„Papa“, wir haben Frühstück gemacht.
„Ja, du musst Brötchen holen“, ergänzte Badelatschen.

Ein super Start. Eine Situation, die jeder kennt oder sich zumindest sehr gut vorstellen kann. Jetzt kommt der erste Gag. Er darf nicht zu witzig sein. Ich muss mich ja im Laufe der Geschichte noch steigern können. Achtung, der erste Gag:

„Ja, du musst Brötchen holen“, ergänzte Badelatschen.
Ich schnaufte: „Doch nicht um fünf Uhr morgens.“

Uhaahaa! Was für ein super Gag! Zwei kleine Kinder wecken mich am Samstagmorgen viel zu früh, damit rechnet doch niemand. Moment, ich muss mich erst auslachen, dann geht es weiter.
So bereit für die nächste Runde.

„Aber Du hast versprochen, dass Du Brötchen holst, wenn wir den Tisch decken.“, erklärte mir Ulf.
„Hast Du gestern versprochen“, bestätigte Badelatschen.
Was sollte ich tun? Die Zwillinge würden mir keine Ruhe lassen. Diese Erfahrung musste ich auf die harte Tour machen. Ich erinnerte mich ... 

Jetzt geht es ab in meine ulkig, verrückte Vergangenheit.

Natürlich noch nicht zu verrückt, ich muss mich ja noch steigern können.

Meine Frau, Badelatschen, Ulf und ich waren einmal zu Besuch bei entfernten Verwandten meiner Gemahlin. Ulf und Badelatschen bettelten die ganze Zeit, der Verwandten Haus niederbrennen zu dürfen. Ich wollte nicht zustimmen. Das brachte Ulf und Badelatschen sehr auf. Sie nahmen ein Küken und stellten sich abwechselnd darauf. Als das arme Vieh flach wie ein Eierkuchen war, gab ich ihnen selbst die Zündhölzer in die Hand. Das Haus war schnell abgefackelt und wir durften die Verwandten nie wieder besuchen.

Wie gesagt, es darf noch nicht zu verrückt sein. Ich muss mich noch steigern können. Weiter im Text.

Mürrisch zog ich mich also an und machte mich auf zum Bäcker. Die Sonne hatte es noch nicht geschafft sich über die Häuserdächer zu erheben, dafür eine dicke Ratte. Sie spazierte mit einer Zahnspange im Mund über die Straße. Ich dachte,

Achtung, jetzt kommt ein ulkiger Gedanke!

Ich dachte, die Viecher haben aber auch einen Überbiss. Endlich unternimmt mal einer was dagegen.

Ich bin so witzig.

Dann bog ich um die Ecke und sah den Bäcker schon von weitem. Ein paar Männer warteten davor. Einige trugen grummelnde Babys vor dem Bauch oder hielten quengelnde Kleinkinder an der Hand.

Wichtig ist bei diesen Texten immer, alles möglichst zu übertreiben.

Aus diesem Grund schreibe ich die letzten beiden Sätze nochmal.

Millionen Männer warteten davor. Alle trugen ein Baby vor dem Bauch, hielten ein quengelndes Kleinkind an der einen und einen kalbsgroßen Hund an der anderen Hand. Warum war der beliebteste Bäcker der Stadt bloß gleich bei uns um die Ecke? Das dachte ich jedes Mal, wenn ich den letzten Platz in der Schlange einnahm. Ich hatte meiner Frau schon oft vorgeschlagen, in einen anderen Stadtteil zu ziehen, nur um von diesem Bäcker wegzukommen. Doch sie sagte immer:

Achtung! Hat der Erzähler eine Ehefrau oder eine Partnerin, ist die immer schlagfertiger und schlauer als der Erzähler.

Nur so fühlt sich bei einem männlichen Erzähler auch das weibliche Publikum wohl. Deshalb folgt jetzt die schlagfertige Antwort der tollen Ehefrau.

Ich hatte meiner Frau schon oft vorgeschlagen, in einen anderen Stadtteil zu ziehen, um von diesem Bäcker wegzukommen. Doch sie sagte immer nur: „Fick Dich!“
Ja, so war sie meine Angetraute, nie um eine gute Antwort verlegen.
Nach fünfundzwanzig Stunden, zwei Hundekämpfen und 25000 an Schwäche verendeten Jungvätern, erreichte ich endlich das Innere des Bäckers. Ich stand am Tresen und sagte:

Am Anfang des letzten Drittel des Textes muss ein Knüllergag zünden.

Ich stand am Tresen und sagte: „Acht Weizenbrötchen bitte.“

Uhaaaha! Wie witzig ist das denn? Wie kann ein moderner Vater, wie ich es bin, nur acht Weizenbrötchen kaufen? Das geht doch gar nicht.

Ich stand am Tresen und sagte: „Acht Weizenbrötchen bitte.“
Die Verkäuferin sah mich an und meinte: „Ist nicht ihr ernst.“
„Doch. Wieso?“, fragte ich verunsichert.
„Wie kann ein moderner Vater, wie Sie es sind, nur acht Weizenbrötchen kaufen? Das geht doch gar nicht.“
Ich verstand immer noch nicht. Die Verkäuferin bemerkte das und stemmte ihre Arme in die Hüften. Dann sagte sie barsch: „Vollkornbrötchen, Mehrkornbrötchen, Dinkel-Kleie-Brötchen oder Kartoffelbrötchen – das kaufen moderne Väter wie Sie! Oder wollen Sie mit dem weißen Mehl Ihre Kinder vergiften?“
„Aber weshalb verkaufen Sie dann überhaupt Weizenbrötchen, wenn die Gift sind?“
„Haben Sie mal auf den Preis geschaut?“
Die Weizenbrötchen kosteten nur ein Hundertstel des Preises der anderen Brötchen. Die lagen im Schnitt bei 9,23 Euro das Stück.

Wie gesagt, immer schön übertreiben.

„Na ja“, sagte ich „die Weizenbrötchen sind viel, viel, viel billiger.“
Die Verkäuferin nickte zufrieden und ergänzte: „Und deswegen werden die och nur von Hartz-IVern gekoft. Und das is jut so, weil die sich am weißen Mehl totfressen und dann schneller wegsterben und unser Sozialsystem entlasten tun.“

Gehören die Figuren dem einfachen Volk an, dann sollten sie immer Dialekt sprechen. Das gebildete Bürgertum, was solche Glossen liest, glaubt nämlich fest daran, anhand der Sprache den sozialen Stand oder gar die Bildung eines Menschen erkennen zu können. Diese Illusion sollte der Autor dem Publikum nicht wegnehmen.

Ich nickte und kaufte vier Vollkorn- und vier Dinkel-Kleie-Brötchen.

Am Ende des Textes sollte immer eine witzig-geistreiche Lehre stehen.

Als ich den Bäcker verließ, hatte ich ein weises Gefühl im Magen. Immerhin hatte sich mir eben die Wahrheit offenbart. Die Politik scheint nur tatenlos beim Thema Arbeitslosigkeit zu zusehen, aber sie und die Bäckerinnung unternehmen viel dagegen.

Das Ende muss nichts mit dem Anfang zu tun haben.

Bei Texten dieser Art muss sich der Erzählkreis nicht unbedingt schließen. Ich lasse jetzt ganz einfach die Mädels auf ihre Brötchen warten und schließe die Geschichte hier ab.

So lässt sich eine Glosse schreiben.

Wenn Du ganz viele davon zusammen geschrieben hast, dann presse sie in ein Buch. Ziehe damit durch die Lande und lese daraus vor. Beim Publikum kommen solche Bücher meist gut an, weil es gern lacht. Und wenn Du es richtig anstellst, wird daraus sogar ein Film, der nichts mit dem Buch zu tun hat. Versprochen.

 

 

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Tags : Bröchten Glosse Anekdote Schreiben